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Kolumne "Freie Sicht"
Lesen Sie nachfolgend den vierten Beitrag von Regierungsrat Matthias Michel in seiner Kolumne "Freie Sicht".
Das Dilemma der Liberalen
Wir Liberalen berufen uns gerne und zu Recht auf die Staatsgründer der Schweiz: Es waren Liberale, welche die Struktur und die Grundzüge unseres Bundesstaates gelegt und dabei liberale Überzeugungen wie das Rechtsstaatsprinzip und die Gewaltentrennung in unserer Verfassung verankert haben. Damals - es waren die Verfassungen von 1848 und 1874 - war der Staat noch kein fürsorgender Wohlfahrtsstaat. Seither profilieren sich Politikerinnen und Politiker landauf landab mit Vorschlägen, welchen Aufgaben sich der Staat auch noch annehmen könnte, wo er noch regeln, unterstützen und fördern könnte. Denn: Handlungsbedarf gibt es überall. Nur kann die Antwort nicht lauten, dass überall der Staat diese Bedürfnisse befriedigen muss.
Hier zeigt sich ein liberales Dilemma: Als Parlamentsmitglied kann man sich profilieren, indem man Vorstösse einreicht, insbesondere mittels Motionen und Postulate eine Aktivität des Staates fordert - sei es des Bundes, des Kantons oder der Gemeinde. Als Liberale sind wir dagegen daran interessiert, dass der Staat sich beschränkt und nicht in jeden gesellschaftlichen oder privaten Bereich eingreift. Als liberales Parlamentsmitglied müsste man also konsequenterweise die Abschaffung von Gesetzen, einen Rückzug des Staates - somit weniger statt mehr fordern. Das ist nicht ganz einfach: Vorschläge, dass der Staat weniger unterstützt, weniger subventioniert oder weniger tut, sind meistens nicht sehr populär. Deshalb sind sie auch rar. Und auch liberale Politikerinnen und Politiker tappen oft in die Falle, aus gut gemeinten Ideen mehr staatliche Tätigkeit und mehr staatlichen Schutz zu verlangen. Auch als Exekutivpolitiker nehme ich mich hier nicht aus: Es ist wenig populär, selber für den Abbau der eigenen, von mir geführten Verwaltung einzustehen oder mit meinen Ideen, welche oft auch ein staatliches Engagement bedeuten, zu begraben.
Matthias Michel, Regierungsrat
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